Nachdem sie mit ihrem Text "Für bestimmte Welten kämpfen und gegen andere" beim Bachmann-Preis 2020 für große Diskussionen innerhalb der Jury sorgte und schließlich mit dem Deutschlandfunk-Preis ausgezeichnet wurde, hat Lisa Krusche mit "Unsere anarchistischen Herzen" jetzt ihren Debütroman vorgelegt.
1. Die Handlung
In „Unsere anarchistischen Herzen“ zieht die selbstbewusste Charles gegen ihren Willen mit ihrer Familie in eine Hippie-Kommune in einem Vorort von Hildesheim, nachdem sie ihr Künstler-Vater nackt von den Straßen Charlottenburgs aufgegabelt hat. In Hildesheim entflieht Gwen dem luxuriösen Einfamilienhaus ihrer Eltern, um sich auf verlassenen Supermarkt-Parkplätzen in der Nordstadt mit anderen zu prügeln. In Lisa Krusches Debütroman geht es zuvorderst um zwei jugendliche Mädchen, die schon immer auf sich allein gestellt waren und von ihren Eltern auch für die Zukunft nichts mehr erwarten können. Charles’ Eltern kriegen sich auch in der Land-Idylle nicht mehr zusammengerissen, Gwens Eltern betrachten ihre Tochter mit immer abschätzigeren Blicken. Dass sich die beiden, deren Zufluchtsort derselbe Kiosk und dessen Mitarbeiter Sinan ist, früher oder später kennenlernen müssen, ist klar. Aus anfänglichem Befremden der verschüchterten Gwen und der forschen Charles entsteht eine Freundschaft, die für beide zur Rettung wird.
2. Der Stil
Lisa Krusche lässt in ihrem Debütroman ihre beiden Protagonistinnen Charles und Gwen abwechselnd und in ihrem eigenen Ton Kapitel aus ihrer Sichtweise erzählen. Beiden wird eine authentische Jugendsprache in den Mund gelegt, wobei Charles etwas altklug daherkommt und Gwen nihilistisch-melodramatisch. Darüber hinaus sucht Charles schon einmal Rat bei Bäumen, ihrer Bananenpalme oder ihrem Plüsch-Oktopus, während Gwen durch Instagram scrolled und von synästhetischen Schüben heimgesucht wird. Die Chats der beiden untereinander oder mit Freund*innen wird komplett in Kleinbuchstaben wiedergegeben. Besonders in den Kapiteln von Gwen gibt es darüber hinaus lyrische Einschübe in Kleinbuchstaben, die Gedicht sein könnten oder Cloud Rap Songs. Dadurch, dass sowohl Charles als auch Gwen aus der Ich-Perspektiv und in Präsens erzählen, entstehen gleichzeitig eine große Unmittelbarkeit als auch – dies auch befeuert durch die relativ kurzen Kapitel – eine ungeheure Rasanz der Geschichte.3. Die Stelle
„Ich denke an Sartre. Dass er vollkommen unspezifisch war. Die Hölle, das sind nicht einfach die anderen. Die Hölle, das sind die Eltern.“
- Charles, S. 90
Kommentare
Kommentar veröffentlichen