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Auf der Suche nach dem perfekten Sommerbuch

 Manche denken ja, nichts passt besser zur kalten Jahreszeit, als es sich mit einer Decke und einem Buch auf dem Sofa gemütlich zu machen, aber bei mir ist tatsächlich der Sommer die produktivste Lesezeit. Ob im Park, im Freibad oder am Strand - selten lese ich mehr. Dazu gibt es viele Bücher, die Sommer-Vibes versprühen oder aufgrund ihres Settings einfach gut zur heißen Jahreszeit passen. Drei Romane, die mich diesen Sommer begleitet haben, stelle ich euch in diesem Blog-Artikel vor.

Caroline Wahl: 22 Bahnen

Das Cover ist schon einmal vielversprechend und auch der Inhalt scheint zu passen: Es ist ein flirrender Sommer, den Ich-Erzählerin Tilda am liebsten im Freibad mit dem Schwimmen ihrer üblichen 22 Bahnen (hence the title) verbringt, wenn sie nicht gerade an der Supermarktkasse jobbt, an ihrer Mathematik-Masterarbeit sitzt oder sich um ihre Halbschwester Ida kümmert.

Dunkle Wolken bedrohen jedoch die Sommer-Idylle: Die Mutter ist alkoholkrank, eine angebotene Promotionsstelle stellt Tilda vor ein Dilemma und Erinnerungen an ihren tragisch verstorbenen Freund Ivan kommen hoch. Diese werden ausgelöst durch das mysteriöse Auftauchen von Viktor, Ivans großem Bruder, der genau wie Tilda täglich seine Bahnen im Freibad zieht.

Caroline Wahl findet in ihrem Debütroman einige gelungene Bilder, bspw. wie es in anderen Haushalten immer einen Abendbrottisch gibt, die eigene Mutter dies ob ihrer Alkoholkrankheit aber nicht hinkriegt, wie Tilda im Supermarkt ohne Aufzuschauen von den Einkäufen auf die Einkaufenden schließt oder wie ihre Freund*innen nach den ersten Semestern in Berlin mit von kleinen Tattoos übersäten Armen zurück in die Kleinstadt kommen. Manche Vergleiche schießen aber auch übers Ziel hinaus - vor allem die Libellen, die in Tilda fahren, als sie und Viktor sich näher kommen, oder auch das traurige Haus, das ausgerechnet in der "Fröhlichstraße" steht, waren mir etwas zu cheesy und lassen mich dem Roman nur 6,5 von 10 Sommerbuchsternen geben.

Caroline Wahl: 22 Bahnen, 208 Seiten, erschienen am 18.04.2023 im DuMont Buchverlag, 22 Euro

Emma Cline: The Guest

Wer dieses Jahr in den Urlaub fährt und nicht "The Guest" von Emma Cline im Gepäck hat, macht etwas falsch. Das Buch erfüllt alle Anforderungen an den perfekten Sommerroman.

Es ist ein brütend heißer August, den Protagonistin Alex auf Long Island verbringt. In der "Stadt" kam ihre Karriere als Escort zum Erliegen, das Türschloss zu ihrer WG wurde ausgetauscht und ein ehemaliger Kunde verfolgt sie, nachdem sie ihm sämtliches Bargeld und alle Drogen geklaut hat. Wie passend, dass sie dann den etwa 30 Jahre älteren Simon kennenlernt, der sie in sein Ferienhaus einlädt. Dort zieht sie im Pool ihre Runden oder lässt sich im Meer treiben, bevor sie sich für Simons Feierabend hübsch macht und als sein Accessoire im "best behavior"-Modus auf Dinner Parties nicht negativ aufzufallen versucht.

Aber es kommt, wie es kommen muss: Ein Fauxpas und Simon lässt sie mit einem One-way-Ticket am Bahnhof absetzen. Nur, dass Alex nicht in den Zug steigt, sondern sich fortan durch das Urlaubsparadies der Reichen und Schönen treiben lässt. Gewöhnt daran, sich den Erwartungen der anderen, der Männer, anzupassen, versucht sie sich eine Woche bis zu Simons Labor Day Party über Wasser zu halten, denn sie ist überzeugt davon, dass alles nur ein Missverständnis war.

Dadurch, dass alles auf dieses Zusammentreffen hinläuft, entsteht ein unfassbarer Sog, der "The Guest" zu einem richtigen Pageturner macht. Hier wie auch in "The Girls" zeigt sich Emma Clines messerscharfer Blick, mit dem sie die Oberschicht seziert, und hier wie auch dort hinterlassen ihre Figuren eine Spur der Verwüstung. Und hier wie auch dort könnte das Ende die Leser*innen frustriert zurücklassen - aber passt nicht auch das irgendwie zum Sommer?

Emma Cline: The Guest, 304 Seiten, erschienen am 16.05.2023 im Random House Verlag, 17,29 Euro

Tess Gunty: The Rabbit Hutch

Auch wenn die Handlung sich auf eine schwüle Juli-Woche konzentriert, handelt es sich bei "The Rabbit Hutch", dem vielfach prämierten Debütroman von Tess Gunty, nicht unbedingt um ein Sommerbuch - wenngleich das Potenzial besteht, die 335 Seiten der englischen TB-Ausgabe in einem Zug (oder Flug) zu lesen.

Gleich zu Beginn heißt es, dass Blandine Watkins, die 18-jährige Hauptfigur des Romans, an einem heißen Abend im Apartment C4 des Rabbit Hutch genannten "La Lapinière Affordable Housing Complex" ihren Körper verlässt. Und damit hat Gunty einen gleich an der Angel: Was genau bedeutet das, wie kommt es dazu? Auf dem Weg zur Aufklärung des Mysteriums müssen leider einige Längen in Kauf genommen werden - Gunty führt ein ganzes Arsenal an Figuren ein, von denen alle sonderbar, einige aber auch überflüssig sind. Neben einer Redakteurin von Online-Nachrufen und einer Mutter, die sich vor den Augen ihres Babys fürchtet, interessiert vor allem die Figur der Blandine, die Hildegard von Bingen als ihre einzig wahre Freundin betrachtet und etwas an David Foster Wallaces Madame Psychosis erinnert: Niemand scheint sich ihrem Bann entziehen zu können. Als Blandines grüner Rückzugsort Chastity Valley in Gefahr gerät, lehnt sie sich gegen die Gentrifizierungspläne auf. Gleichzeitig holt sie ihre Vergangenheit ein und ihre drei Mitbewohner werden immer bedrohlicher.

Dass die Geschichte im amerikanischen Rust Belt in einem fiktiven Ort spielt, in dem seit dem Abzug eines großen Autobauers alles den Bach runter geht, hat am Ende eigentlich keine Bedeutung mehr, sondern mit "The Rabbit Hutch" erzählt Gunty eine vor fantasievollen Wendungen strotzende Geschichte der Auflehnung einer Frau gegen männliche Machtstrukturen, deren Lektüre absolut empfehlenswert ist.

Tess Gunty: The Rabbit Hutch, 338 Seiten, erschienen am 08.06.2023 in Oneworld Publications, 12,49 Euro

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