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Miku S. Kühmel: Kintsugi

Miku S. Kühmel „Kintsugi“
Als eines von sieben Debuts hat es "Kintsugi" von Miku S. Kühmel unter die zwanzig Titel auf der Longlist des Deutschen Buchpreises geschafft. Als erstes Buch wird der Roman, dessen Name von dem japanischen Kunsthandwerk, zerbrochenes Porzellan mit Gold zu kitten, herrührt und nicht zuletzt aufgrund dessen von der Verletzlichkeit der Liebe handelt, auf dem Bookboy-Blog vorgestellt.

1. Die Autorin

Miku S. Kühmel wurde 1992 in Gotha geboren und hat an der Humboldt-Universität zu Berlin, an der wir einige Kurse gemeinsam belegten, Deutsche Literatur und Medienwissenschaften studiert. In ihrer Bachelorarbeit hat sie sich der Frage gewidmet, wieso literarische Verfilmungen so oft enttäuschen, und ihre Ergebnisse regelmäßig auf Science Slams vorgestellt. Neben ersten Veröffentlichungen ihrer Texte in Zeitschriften und Anthologien hat Kühmel während ihrer HU-Zeit beim Campus-Radio mitgearbeitet und später u.a. für Audible Podcasts entwickelt. Zwischendrin war sie eine Zeit lang an der New York University. Mit „Kintsugi“ legt sie ihren ersten Roman vor.

2. Der Klappentext

"Ein Wochenende. Ein Haus am See. Und vier Menschen, die meinen, sich zu kennen. Miku Sophie Kühmel erzählt so heiter wie melancholisch von vier Leben, von einer modernen Familie. Von der Gewissheit, dass im Unvollkommenen die Schönheit liegt. Und davon, dass es weitergeht. Wie immer geht es weiter."

3. Das Szenario

Seit zwanzig Jahren sind Reik und Max ein Paar. Um das zu feiern, ziehen sie sich, obwohl der Winter noch in seinen letzten Zügen liegt und der Frühling noch nicht ganz angebrochen ist, für ein Wochenende in ihr Ferienhaus an einem See in der Uckermark zurück. Neben dem gefeierten Künstler Reik und dem an der Uni verehrten Archäologen Max sind nur ihr ältester Freund Tonio, gescheiterter Pianist und Jugendliebe von Reik, sowie dessen Tochter Pega, die genau so alt ist wie die Beziehung zwischen Reik und Max, eingeladen. Alle vier Charaktere haben unterschiedliche Verhältnisse zueinander und unterschiedliche Vorstellungen davon, wie sie eigentlich zueinander stehen sollten. Alle vier denken, sie wüssten alles übereinander, dabei haben sie alle Geheimnisse voreinander, die im Laufe des Romans zutage treten.

Der Titel „Kintsugi“ spielt hier eine nicht unwesentliche Rolle. „Kintsugi“, so steht es im erklärenden Glossar am Ende des Texts, ist das Kunsthandwerk, zerbrochenes Porzellan mit Gold zu reparieren. Auch im Roman geht einiges zu Bruch – zwischenmenschlich natürlich, aber auch in Form einer Teeschale. Zumindest letztere scheint am Ende wieder repariert zu sein.

4. Der Clou

Das Besondere an „Kintsugi“ ist nicht, dass sich hier eine weibliche Autorin unter anderem in zwei schwule Männer und einen bisexuellen Mann hinein versetzt und aus deren Perspektive erzählt, denn dies sollte im Jahr 2019 eben so wie die Schilderung einer homosexuellen Beziehung nichts Besonderes mehr sein. Das Besondere des Romans ist stattdessen seine Form. Es gibt einen Prolog und einen Epilog, beide auktorial erzählt. Jeweils um „8 Uhr am Morgen“ und um „8 Uhr am Abend“ gibt es zu essen. Diese gemeinsamen Mahlzeiten sind erzählt wie Szenen aus einem Theaterstück, mit Bühnenanweisungen und abwechselnder Rede. Sie gliedern den Roman und unterteilen ihn in vier größere Passagen, von denen je eine einer der vier Figuren (Max macht den Anfang) gehört, die in diesen die Rolle des Ich-Erzählers übernehmen und vor den Leser*innen innerlich monologisierend ihren Bewusstseins- und Wahrnehmungsstrom ausbreiten. Eben durch diesen Kniff entsteht die Spannung des Romans, denn einerseits werden die Figuren so greifbar, erhalten Vergangenheiten, welche die Handlungen in der Erzählgegenwart motivieren. Andererseits wissen so (nur) die Leser*innen von allen vieren alles, diese aber haben voreinander Geheimnisse, die mal aufgelöst werden, mal aber auch nicht – und am Ende zum großen Knall führen.

5. Die Passage

Am Ende des Romans gibt es einen Dialog zwischen Pega und Max, der auf eine Aussage hinausläuft, einen väterlichen Ratschlag ohne Vater, wie ihn alle Eltern ihren Kindern mit auf den Weg geben sollten:

„Was ich sagen will: Für uns war es vielleicht nicht einfach, aber für dich wird es verdammt schwer. Lass dich nicht ablenken. Partnerschaften sind nicht alles. Hör auf dich und in dich hinein. Du musst mit dir selbst glücklich sein. Denn die Person, mit der allein du die meiste Zeit verbringen musst, bist du.“

6. Die Bewertung

Aufgrund des Settings in einem Wochenendhaus in der Uckermark bei schlechtem Wetter gibt es in „Kintsugi“ nicht viel äußere Bewegung. Die ProtagonistInnen hocken auf- und kreisen umeinander. Eben deswegen braucht es in diesem Kammerspiel nicht viel, denn die meiste Bewegung findet im Inneren statt, in den Erinnerungen, Geheimnissen und Konflikten, die unausweichlich sind, wenn man vier Personen räumlich eng begrenzt. Und obwohl alles klar scheint, weiß Miku S. Kühmel bis zur letzten Seite zu überraschen. Dies in einer ruhigen und unaufgeregten Sprache, wie man sie sich vielleicht vorstellt von den Menschen in den Tiefen der Uckermark.

7. Die Fakten

„Kintsugi“ von Miku S. Kühmel ist am 28. August 2019 beim S. Fischer Verlag in Frankfurt am Main erschienen und kostet 21 Euro bei 297 Seiten. Zu kaufen gibt es den Roman im Einzelhandel oder hier:

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