"Eurotrash" von Christian Kracht, angekündigt als eine Art Fortsetzung (im Geiste) seines Debütromans "Faserland", ist eines der am meisten diskutierten Bücher des literarischen Frühlings. Hier gibt es den Roman im Schnellcheck!
1. Die Handlung
„Also, ich mußte wieder auf ein paar Tage nach Zürich.“ – In „Eurotrash“ besucht der Autor von „Faserland“ Zürich, wo Krachts Debütroman endete. Der Faserland-Autor Christian Kracht fungiert nunmehr als Ich-Erzähler „Christian Kracht“. Es ist der Auftakt für ein genüssliches Spiel mit Autorschaft und Auto(r)fiktionen. Der Ich-Erzähler besucht in Zürich seine alkohol- und tablettenabhängige Mutter, die er wieder einmal mit der eigenen Familiengeschichte, der Nazi-Vergangenheit besonders der Familie mütterlicherseits, konfrontieren will. Der Roman kann damit im Zuge der aktuellen Debatte um (verschwiegenes) Nazi-Erbe in Deutschland auch als eine Art literarische Selbstanzeige gelesen werden. Um zum Kern des Verdrängten vorzudringen, nimmt der Ich-Erzähler seine Mutter mit auf eine Rundreise durch die Schweiz, genauer an bedeutende Orte ihrer beider Vergangenheit. Die Reise der beiden ist gesäumt von komischen, slapstickhaften Momenten, Konfrontation, Versöhnung und ein stetes sich umeinander, sich um den Kern des Unsagbaren Kreisen.
2. Der Stil
„Eurotrash“ knüpft im Erzählstil an „Faserland“ an: Es gibt wieder einen Ich-Erzähler, nur dass dieser dieses Mal nicht namenlos bleibt, und das erste sowie das letzte Wort des Romans lauten wieder „Also“ und „bald“. Ein bisschen entsteht das Gefühl, dass sich für Kracht mit „Eurotrash“ ein Kreis geschlossen hat, dass er sich in den 25 Jahren seit erscheinen von „Faserland“ bis zu diesem Punkt vorgearbeitet hat, an dem die ihn beschäftigenden Themen frontal bearbeitet werden. Eine Kontinuität zwischen „Faserland“ und „Eurotrash“ besteht auch darin, dass Kracht die alte Rechtschreibung verwendet – ganz so, als knüpfe die Erzählung in „Eurotrash“ unmittelbar an das 1995 erschienene „Faserland“ an. Das Spiel mit der Autofiktion treibt Kracht dabei genüsslich auf die Spitze – derart, dass manche Rezensent:innen es aufgegeben haben, ausmachen zu wollen, wo bei Kracht die Grenze zwischen Fakt und Fiktion verläuft.
3. Die Stelle
„In diesem Augenblick wußte ich, daß es alles jetzt exakt entweder so weitergehen würde bis zu ihrem Tod oder daß ich jetzt, nur jetzt, genau jetzt in diesem Moment ausbrechen könnte aus dem Kreis des Mißbrauchs, aus dem großen Feuerrad, aus dem sich drehenden Hakenkreuz.“ (Christian Kracht: Eurotrash, S. 70)
In diesen Zeilen kulminiert der „Erinnerungskampf“ zwischen Mutter und Sohn, um den es in „Eurotrash“ hauptsächlich geht, vorerst. Stets wird um die Erinnerung gerungen, der Sohn benennt Ereignisse oder benennt sie nicht, die Mutter weicht aus oder es entweicht ihr etwas durch ihren künstlichen Darmausgang. Als Reaktion beschließt der Ich-Erzähler, mit seiner Mutter auf eine Reise an die Orte ihrer familiären Vergangenheit zu gehen – und landet dadurch nur umso stärker im ewig sich drehenden Hakenkreuz, aus dem es kein Entkommen gibt.
4. Der Autor
Christian Kracht, 1966 in Saanen in der Schweiz geboren, brachte 1995 mit seinem Debütroman „Faserland“ die Pop-Literatur in den deutschsprachigen Raum. Es folgten die Romane „1979“, „Ich werde hier sein im Sonnenschein und im Schatten“ sowie „Imperium“ und „Die Toten“ und schließlich „Eurotrash“. Anfang der Neunziger war Kracht auch als Journalist für das Magazin Tempo so wie Mitte der Neunziger als Indien-Korrespondent des Spiegel tätig. Neben seinen Romanen hat er mehrere Bücher und Anthologien mit anderen Autor:innen herausgebracht und gemeinsam mit seiner Frau Frauke Finsterwalder den Film „Finsterworld“ veröffentlicht. Wie seine Romanfiguren ist auch Kracht stets unterwegs und wechselt regelmäßig seine Wohnorte und lebte unter anderem in Bangkok, in Los Angeles, in Indien und aktuell wieder in der Schweiz.
5. Die Bewertung
7 von 10 Punkten. Auf den ersten 40 Seiten kommt der Roman nur schwer in Gang: Viel Namedropping, wenig Handlung. Mit dem Eintritt der Mutter ins Geschehen und der Rundreise durch die Schweiz entwickelt das Buch aber einen angenehmen drive und die Sezierung der eigenen Familiengeschichte gestaltet sich etwas nachvollziehbarer und unterhaltsamer. An das Frische und noch nicht Dagewesene eines "Faserland" oder die stilistische Qualität eines "Imperium" kommt "Eurotrash" aber nicht heran.
„Eurotrash“ von Christian Kracht ist am 4. März 2021 im Kölner Verlag Kiepenheuer & Witsch erschienen und kostet 22 Euro bei 210 Seiten.
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