"Kurzes Buch über Tobias", der dritte Roman von Jakob Nolte, strotzt gleichsam vor poetischem Witz und einem Reichtum an Querverweisen und Bezügen. In einer dezentralen Erzählweise werden viele Themen angerissen, die nicht nur das Leben des Titelhelden, Tobias, bestimmen, sondern auch unser eigenes. Mehr zum Buch im Schnellcheck.
1. Die Handlung
Falls der „Kurzes Buch über Tobias“ eine Handlung hat, dann diese, dass das Buch sich um die Entwicklung von Tobias Becker dreht. Dieser studiert erst in Hildesheim Kreatives Schreiben und wird Schriftsteller, findet später zum Glauben und wird Pfarrer, stolpert immer wieder über seine eigene Dickköpfigkeit, begegnet sich zuweilen selbst und endet nach einiger Zeit als „Televangelist“ auf der Straße – genauer in der Hasenheide, im Schatten des TTC Neukölln, dessen Mitglied er zeitweise war.
2. Der Stil
Die 48 Kapitel, in denen laut Klappentext das Leben Tobias Beckers nacherzählt wird, bestehen zumeist aus losen Anekdoten, die einige Kapitel später wieder aufgenommen werden, oft aber auch für sich alleine stehen bleiben. Eine chronologische Erzählung gibt es nicht, es handelt sich um eine dezentrale Erzählweise, wie es sie auch schon in Noltes „Schreckliche Gewalten“ gibt. Nolte hat in seinen Text eine große literarische Schreiblust hineinfließen lassen, kaum eine Passage kommt ohne Pointe oder intertextuellen Verweis aus. Dabei werden wichtige Themen – Männer, die einen Messias in sich wähnen, Herkunft und Zugehörigkeit, Spiritualität und Glauben, Sinnsuche, auch moderne Beziehungen – werden dabei stets angerissen, aber leider selten vertieft.
3. Die Stelle
„Möchtest du, dass ich in einen Hasen verwandle?“, fragte Tobias.
„Was soll der Quatsch, hätten wir uns nicht wenigstens noch ein Bier am Späti kaufen können?“
„Hasen sind glücklich.“
„Du willst mich in einen Hasen verwandeln?“
„Es ist nur ein Angebot.“
Ziemlich in der Mitte des Romans verwandelt Tobias seine Ex-Freund und Tischtennispartnerin Alina, die kurz zuvor einen deprimierten und deprimierenden Monolog über ihre mittelmäßige Existenz mit Germanistikhintergrund („Am liebsten wäre ich weg, nicht tot“) hält, in einen Hasen. Nach 117 Seiten Lektüre ist dies nur eine von vielen Wunderlichkeiten, die gar nicht mehr so sehr verwundert, aber beim Lesen großen Spaß macht.
4. Der Autor
Jakob Nolte wurde 1988 geboren und wuchs - wie natürlich auch seine Romanfigur Tobias - in Barsinghausen am Deister auf. An der Universität der Künste studierte er Szenisches Schreiben. Er hat einige Theaterstücke geschrieben, die vielfach gespielt und mehrfach ausgezeichnet wurden, sowie neben „Kurzes Buch über Tobias“ die Romane „ALFF“ und „Schreckliche Gewalten“, in denen die Einflüsse des Szenischen Schreibens erkennbar sind. Zusammen mit Leif Randt betreibt er das PDF-Label „Tegel Media“. Stellenweise liest sich „Kurzes Buch über Tobias“ wie eine Fortsetzung im Geiste von Randts kontrovers diskutiertem Roman „Allegro Pastell“.
5. Die Bewertung
7 von 10 Punkten. Mit 232 Seiten hat Jakob Nolte genau die richtige Länge gefunden, um „Kurzes Buch über Tobias“ zu einer kurzweiligen Lektüre zu machen, während der die schriftstellerische Virtuosität der Erzählweise sich nicht abnutzt. Neben der sehr angenehmen Lektüre fehlen dem Buch aber Themen, die vertieft und somit zum nachdenken anregen würden.
„Kurzes Buch über Tobias“ von Jakob Nolte ist am 15. Februar 2021 im Suhrkamp Verlag in Berlin erschienen und kostet 22 Euro bei 232 Seiten.
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